Die Zukunft der Vergangenheit: Remembering how we remembered

Unser langfristiges Ziel ist es, Nachrichten von BesucherInnen von Gedenkstätten (sowie anderen historischen Orten auf der Welt) zu sammeln, zu archivieren und der Forschung zugänglich zu machen. Derzeit liegt unser Schwerpunkt auf dem Holocaust und der NS-Zeit, wir planen aber, in Zukunft auch andere Ereignisse zu bearbeiten. Unser Ziel ist es, herauszufinden, wie Ereignisse von Menschen interpretiert werden und wie diese Interpretationen sich mit der Zeit verändern. Wenn ZeitzeugInnen und Überlebende des Holocaust sterben, werden wir auf sekundäre ZeitzeugInnen und Quellen angewiesen sein, wie weitergegebene Familiengeschichten, Ausstellungen, Literatur, und Kunst. Geschichte besteht zu gleichen Teilen daraus, wie wir über ein Ereignis denken, wie wir darüber entscheiden und dem “tatsächlichen” Ereignis selbst. Wie man über ein Ereignis denkt hängt von verschiedenen Blickwinkeln ab, von unserer eigenen sowie unserer kollektiven Perspektive.

Ein sprachbasiertes, partizipatorisches Denkmal

Wie sagt man „Niemals vergessen“ auf Xhosa? Wie benützen wir Sprache, Ausdrücke und Gesten, um Emotionen wie Trauer, Verlust, Hoffnung und Empathie auszudrücken? Sprache und Gedanken sind ausschlaggebend dafür, wie eines Ereignisses gedacht wird. Sprache kann auch ein Denkmal sein, und Worte sind beständiger als Denkmäler. Wir wollen mit akademischen Institutionen sowie Museen und WissenschaftlerInnen kooperieren und ihnen unser Archiv zur Verfügung stellen. Im Folgenden geben wir daher einen Überblick der Schwerpunkte, Fragestellungen und Interessengebiete unseres Projekts. Klicken Sie die untenstehenden Links an, um mehr zu einem Thema zu erfahren:

Proof of Concept — Hinterlassen Leute Nachrichten?

Inwiefern unterscheidet sich die Projected Memory-Installation von einem herkömmlichen (auch digitalen) Gästebuch?

Welche Themen werden in den gespeicherten Nachrichten angesprochen?

Unterschiede zwischen dem “öffentlichen Archiv” und dem “Forschungsarchiv”

Projected Memorys langfristigen Zielen

Umgang mit rassistischen und antisemitischen Kommentaren

Interaktive Technologie und “selfies”

Macht eine Audio-/Video-Kabine alle BesucherInnen zu „Zeitzeugen“?

Brauchen die BesucherInnen nicht zeitlichen und räumlichen Abstand um über die Erfahrung eines Gedenkstättenbesuchs richtig nachdenken zu können?

Was soll oder kann das Museum mit den Nachrichten anfangen?

Wo in der Gedenkstätte sollte die Kabine aufgestellt werden?

Ein virtueller Dialog zwischen BesucherInnen

Erwartungen der BesucherInnen, Veränderungen der Denkmuster

Funktioniert es?

Sprache/Linguistik/Narrativ

Theorie and Historiographie

Architektur der Gedenkstätten

Religiöse Verknüpfungen und interkultureller Austausch

Museumspädagogik

Tourismus und Holocaust

Proof of Concept — Hinterlassen Leute Nachrichten?
Ja. Wir haben innerhalb von drei Monaten in der Gedenkstätte Sachsenhausen über 700 Nachrichten gesammelt. Darunter wurden viele unter der Option „öffentlich zugänglich“ abgespeichert. BesucherInnen haben verschiedene Herangehensweisen, manche hinterlassen ein Video während andere Audionachrichten bevorzugen. Auffällig ist bis jetzt, dass auf Deutsch mehr Audionachrichten und auf Englisch mehr Videonachrichten hinterlassen werden. Bald müssen unsere Sprachoptionen auf Spanisch und Italienisch ausgeweitet werden, da hierfür ein großer Bedarf besteht. Manche Leute lesen zuerst den Wandtext, der die Installation und das Projekt erklärt, gehen einen Schritt auf die Box zu und entscheiden sich dann doch dagegen. Für viele ist es schon eine große Herausforderung, einen so deprimierenden Ort wie ein ehemaliges Konzentrationslager zu besuchen. Wir wollen noch mehr von ihnen dazu bewegen, eine Nachricht zu hinterlassen in der sie über ihre Gedanken und Gefühle sprechen können. Ein Besucher aus Spanien hat unsere Box sogar dafür benützt, sich über das Projekt aufzuregen. Er fand es wichtiger, Zahlen und Fakten präsentiert zu bekommen als Meinungen von verschiedenen Menschen zu sammeln. Wir finden es gut, dass er sich ernsthafte Gedanken über das Projekt gemacht hat und die Box dafür benutzte, uns diese mitzuteilen.


Inwiefern unterscheidet sich die Projected Memory-Installation von einem herkömmlichen (auch digitalen) Gästebuch?
Im Unterschied zu vielen der Kommentare, die in herkömmlichen Gästebüchern hinterlassen werden, sind die in unserer Installation in der Gedenkstätte Sachsenhausen aufgezeichneten Nachrichten oft sehr durchdacht, empathisch, detailliert und emotional tiefgehend. Nach unserer Einschätzung ermutigen sowohl die Audio-/Video-Aufzeichnung als auch die Möglichkeit, Nachrichten für eine Öffentlichkeit und/oder für ForscherInnen zu hinterlassen, die BesucherInnen, sich fokussierter und durchdachter zu äußern, als sie es vielleicht unter anderen Umständen tun würden. Zudem können die Museen oder Gedenkstätten die Audio-/Video-Kabinen auf bestimmte Exponate, Relikte, Themen oder Ausstellungen zuschneiden. So könnte beispielsweise ein Interesse daran bestehen, herauszufinden, welche Orte auf dem Gedenkstättengelände die BesucherInnen am meisten beeindrucken und welche Sprache sie gebrauchen, wenn sie über die Geschichte des Lagers nachdenken und sprechen. Eine Nachricht in eine Kamera oder in ein Mikrofon zu sprechen, setzt ein intensiveres Nachdenken voraus als einen kurzen Kommentar in einem Gästebuch zu hinterlassen; dementsprechend zeichnen sich die bisher in der Gedenkstätte Sachsenhausen aufgezeichneten Audio- und Videonachrichten durch eine gedankliche Intensität und Tiefe aus, die in herkömmlichen Gästebüchern kaum zu finden ist. Die Möglichkeit und Herausforderung, die eigenen Eindrücke und Überlegungen in dieser Form festzuhalten, sind also offenbar etwas, worauf BesucherInnen in einer sehr ernsthaften und intelligenten Art und Weise reagieren. In diesem Zusammenhang soll erwähnt werden, dass die meisten BesucherInnen die in Gedenkstätten und Museen ausliegenden Gästebücher nicht durchlesen. Im Unterschied zu diesen sollen die in der Projected Memory-Installation aufgezeichneten Nachrichten sowohl vor Ort als auch online verfügbar sein. Während herkömmliche Gästebücher häufig fernab der eigentlichen historischen Exponate und Ausstellungen ausliegen, kann die Projected Memory-Kabine – auch aufgrund ihrer exponierten räumlichen Lage und ihrer Interaktivität – eine Art „Meta“-Ausstellung werden, kuratiert von Projected Memory und der jeweiligen Gedenkstätte, geschaffen und ausgestaltet von den BesucherInnen selbst.


Welche Themen werden in den gespeicherten Nachrichten angesprochen?
Ein Mann hinterlässt eine Video-Nachricht und gibt an, dass es die Geschichten auseinandergerissener Familien waren, die ihn bei seinem Besuch in Sachsenhausen am stärksten getroffen haben. Er hält sein Smartphone in die Kamera und zeigt uns ein Bild von seiner Tochter, von der getrennt zu werden er sich nicht vorstellen kann. In einem anderen Video berichtet jemand, der sich als amerikanischer Jude bezeichnet und um die 20 Jahre alt ist, von seinen ambivalenten Gefühlen beim Besuch der Gedenkstätte. Während seine jüdische Religion und die Rolle, die diese Religion im Holocaust gespielt hat, ihn mit der Geschichte des Lagers verbinden, entsteht durch den zeitlichen Abstand eine Distanz, die es ihm schwer macht, einen Bezug zu einzelnen Ereignissen und zu den Erlebnissen der Häftlinge im Lager herzustellen. In einer dritten Nachricht schildern zwei junge Geschwister die Lebensbedingungen im Lager und verleihen ihrer Traurigkeit darüber Ausdruck, aber auch der Hoffnung auf eine Zukunft ohne Weltkriege. Und in einer vierten Nachricht erzählt eine Frau, dass sie kürzlich in der Bibliothek der Gedenkstätte die Namen einiger Angehöriger entdeckt hat, und teilt ihre unterschiedlichen Gefühle (Freude, Trauer, abschließen können) mit ihrer Familie und mit uns.
Jede dieser Nachrichten ist sehr bewegend und spiegelt in gewisser Hinsicht eine wichtige Wechselseitigkeit zwischen der Gedenkstätte und den BesucherInnen wider. Die Gedenkstätte zeigt Interesse an den Perspektiven der BesucherInnen, die wiederum mittels der Projected Memory-Installation etwas „zurückgeben“ und so zur Vielschichtigkeit des Ortes beitragen können. Versteht man ein Gästebuch als eine Form der Anerkennung des Beitrags von BesucherInnen zur fortgesetzten Bedeutung der Gedenkstätte, lohnt es sich in jedem Fall, die Möglichkeiten solcher Rückmeldungen auszubauen und qualitativ zu erweitern.
Mehr öffentliche Nachrichten finden sich hier


Was unterscheidet das „öffentliche“ Archiv von dem, das „nur zu Forschungszwecken“ besteht?
Das Aufzeichnen der Nachrichten wird über ein Touchscreen-Interface gesteuert. Der Vorgang ist freiwillig und kann eigenständig, ohne die Mitwirkung der MitarbeiterInnen der Gedenkstätte, ausgeführt werden. Es soll eine Atmosphäre entstehen, die es erleichtert, Kommentare auch zu möglicherweise sensiblen oder schwierigen Themen zu hinterlassen. Wenn BesucherInnen Nachrichten aufzeichnen, können sie diese entweder als „öffentliche“ Dokumente speichern, die dann in den einzelnen Projected Memory-Installationen und im Internet verfügbar sind. Sie können sich aber auch dafür entscheiden, eine Nachricht zu hinterlassen, auf die ausschließlich Personen zugreifen können, denen zu Forschungszwecken Zugang zum Archiv gewährt wurde. In beiden Fällen müssen die BesucherInnen vor der Aufzeichnung einem Regelwerk zustimmen, das neben dem Hinweis, dass diskriminierende Kommentare unerwünscht sind, Informationen über die jeweiligen Nutzungsbedingungen für die Nachrichten enthält. Jedem Zugriff auf die aufgezeichneten Daten durch Dritte muss der Beirat von Projected Memory zustimmen. Ein gesonderter Vertrag zwischen Projected Memory und den ForscherInnen stellt den Schutz der Persönlichkeitsrechte der BesucherInnen sicher.


Was sind einige von Projected Memorys langfristigen Zielen?
Umfangreiche Studien basierend auf den Aufzeichnungen der Projected Memory-Installationen werden Informationen darüber erbringen, ob bestimmte Personen- oder Altersgruppen den Gedenkstätten, Ausstellungen und Exponaten gleichgültig oder gelangweilt begegnen. Die Daten können helfen, bestimmte Muster hinsichtlich Sprache, Geschlecht oder Aufnahmemethode zu erkennen und daraus wiederum Rückschlüsse darauf zu ziehen, in welcher Weise geläufige Redewendungen wie etwa das „Nie wieder“ in unterschiedlichen Sprachen ausgedrückt und in ihrer Bedeutung möglicherweise unterschwellig verändert werden. Sie können auch zu einem Verständnis davon beitragen, wie solche Äußerungen und Formulierungen das kollektive Gedächtnis und die öffentliche Meinung formen und fortschreiben. Vielleicht wird man herausfinden, ob die zusätzliche Anonymität von Nachrichten, die unter der Option „nur zu Forschungszwecken“ gespeichert werden, BesucherInnen dazu ermutigen, ehrlichere und breiter gefächerte Nachrichten zu hinterlassen. In der Bildungsarbeit könnten die aufgezeichneten Videos beispielsweise eingesetzt werden, um den Lernenden die Bandbreite der Standpunkte zu bestimmten Themen zu verdeutlichen.
Ein zentrales und strukturiertes Archiv könnte Forschungen in unterschiedlichen Bereichen und zu unterschiedlichen Themen befördern, unter anderem Sprache/Linguistik/Erzählung, Gedenkstättenarchitektur und Authentizität, religiöser und kultureller Austausch, Tourismus und Holocaust.


Wie gestaltet sich der Umgang mit rassistischen und antisemitischen Kommentaren?
Bis heute waren unter den cirka 3,000 bereits hinterlassenen Nachrichten nur zwei antisemitische Kommentare.
Hasserfüllte oder in anderer Hinsicht eindeutig respektlose oder diskriminierende Nachrichten werden in keinem Fall öffentlich zugänglich gemacht. Der Informationstext auf der Audio-/Video-Kabine selbst enthält diesbezüglich klare und strenge Regeln und das digitale Interface, mit dem die BesucherInnen interagieren, warnt diese vor diskriminierenden Kommentaren und enthält einen klaren Hinweis, dass das Hinterlassen strafrechtlich relevanter Kommentare der Polizei gemeldet wird. Die geringe Zahl der bisher hinterlassenen diskriminierenden Nachrichten führen wir auch auf die in dieser Hinsicht eindeutige Präsentation der Kabine und des ganzen Projekts zurück. Zudem dürfte die Audio-/Video-Aufzeichnung der Kommentare, anders als die beinahe vollständige Anonymität eines herkömmlichen Gästebuchs, abschreckend wirken.


Unterstützt eine interaktive Audio-/Video-Kabine, die BesucherInnen zum Aufzeichnen ihrer persönlichen Eindrücke einlädt, das Phänomen der „Selfie“-Kultur?
Wir denken, dass das Phänomen der „Selfies“ nicht als solches „gut“ oder „schlecht“, sondern einfach ein Bestandteil unserer gegenwärtigen Gesellschaft ist, der durchaus Beachtung verdient. Was bringt SchülerInnen dazu, sich vor den (rekonstruierten) Toren in der Gedenkstätte Auschwitz zu fotografieren? Wahrscheinlich eine Mischung aus Voyeurismus, Sensationslust und dem Bedürfnis, mit anderen in Verbindung zu treten. Darüber hinaus hilft das öffentliche Zurschaustellen solcher Dokumente des vor-Ort-gewesen-Seins, bestimmte Momente im eigenen Leben zu markieren.
Die Projected Memory-Installation möchte unter Nutzung digitaler Technologien und in einem spezifischen Rahmen (Sprache, Architektur, Format der Aufnahmen und Zeitbegrenzungen) die positiven Impulse, die hinter der Verbreitung der „Selfie“-Kultur stecken (Verbindungen mit anderen suchen, Bewusstwerdung des persönlichen Bezugs zu den betreffenden Orten) aufgreifen und fördern, um so zum Sammeln und Teilen von Erfahrungen beizutragen. Besuche in Gedenkstätten sind oft einsam und isolierend. Eines der Ziele unseres Projekts ist es, die Art und Weise, wie die verschiedenen Hintergründe der BesucherInnen die Erfahrung des Besuchs einer Gedenkstätte prägen, in den Blick zu nehmen. Das bewusst gestaltete Umfeld der Audio-/Video-Kabine ordnet und leitet dabei nicht nur die Interaktion der BesucherInnen mit der digitalen Technologie, sondern soll sie auch dazu anhalten, länger und gründlicher über ihre Gedanken und Gefühle zu reflektieren, als sie es beim Erstellen eines „Selfies“ tun würden. In einer Gesellschaft mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne bietet der geschützte Raum der Audio-/Video-Kabine eine Möglichkeit, sich aus der Gruppe zurückzuziehen und sich die Zeit zu nehmen, gründlich und fokussiert über die Bedeutung der Gedenkstätten und über das eigene Erleben beim Besuch dieser Orte nachzudenken.
Die Projected Memory-Installation hält BesucherInnen nicht davon ab, während ihres Aufenthalts in der Gedenkstätte mit eigenen Geräten Film- und Tonaufnahmen zu machen. Auch beeinträchtigt sie in keiner Weise die verschiedenen Seminar-Angebote der Gedenkstätte, bei denen beispielsweise Kameras zum Einsatz kommen. All diese Methoden der Interaktion, des Lernens und Reflektierens haben Stärken und Schwächen, und sie schließen einander nicht aus. Interessanterweise nutzte der Mann, der die Nachricht über seine Tochter hinterlassen hat, in der Audio-/Video-Kabine sein Smartphone um ein Bild von seiner Tochter zu zeigen, das seine Erzählung unterstreichen sollte. Er hätte sein Telefon auch dazu nutzen können, während seines Besuchs in der Gedenkstätte eine Nachricht aufzuzeichnen und sie dann bei Youtube oder Facebook online zu stellen. Das hat er aber nicht getan. Vielmehr nutzte er den durch die Projected Memory-Installation zur Verfügung gestellten geschützten und privaten Rahmen und die Möglichkeit, seine Empfindungen in einem spezifischen Kontext zu teilen.


Besteht das Risiko einer Popularisierung/ Normalisierung des Holocaust? Macht eine Audio-/Video-Kabine alle BesucherInnen zu „Zeitzeugen“?
Das Konzept eines „Multidirectional Memory“ (Rothberg, Multidirectional Memory, Stanford University Press, 2009) ist in der Tat faszinierend, und wir hoffen, die von uns aufgezeichneten Nachrichten werden ForscherInnen helfen, dieser Idee weiter nachzugehen. Welche Verbindungen sehen die Menschen nach all den Jahren zur Nazizeit? Was erwarten sie von einem Besuch in einer Gedenkstätte, was suchen und was lernen sie? Wie gehen sie damit um, dass die Berichte von ZeitzeugInnen in manchen Punkten ungenau sind und welche Spannung besteht zwischen den Aussagen der ZeitzeugInnen und Überlebenden der Lager und den Überlegungen und Empfindungen der heutigen BesucherInnen? In der dritten Phase unseres Projekts wollen wir die aufgezeichneten Nachrichten aller Projected Memory-Installationen in einer zentralen Datenbank zusammenzuführen, die für externe ForscherInnen zugänglich sein soll. Dann könnten Untersuchungen beispielsweise zu der Frage, wie sich die Reaktionen deutscher Jugendlicher auf die Gedenkstätten von denen US-amerikanischer AltersgenossInnen unterscheiden, durch den Zugriff auf das Projected Memory-Archiv auf eine breitere empirische Basis gestellt werden.
Projected Memory legt großen Wert darauf, die Aussagen von BesucherInnen, die deren Eindrücke und Reflexionen wiedergeben, von ZeugInnen-Aussagen im eigentlichen Sinne zu unterscheiden. Keinesfalls geht es uns darum, die Erinnerungen und Berichte der Überlebenden in ihrer Bedeutung einzuschränken oder zu relativieren. Vielmehr wollen wir zeigen, dass ihre Erlebnisse und Erfahrungen bis heute für viele Menschen von außerordentlicher Bedeutung sind und auf unsere gegenwärtige Verantwortung hinweisen, im Angesicht der durch Hass, Vorurteile und Gleichgültigkeit hervorgebrachten Katastrophe wachsam zu bleiben. Mit dem allmählich eintretenden Ende der ZeitzeugInnenschaft und einem zunehmenden Gefühl der Distanz zu den historischen Ereignissen wird es immer wichtiger, die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Erinnerung an die Geschichte allgemein und an die Lebensgeschichten Einzelner anzuerkennen.

Gedenkstätten haben für viele unterschiedliche Menschen viele unterschiedliche Bedeutungen. Für manche sind sie in erster Linie Friedhöfe und sollten als solche erhalten werden, also ohne Tourismus, Ausstellungen und anderer Elemente, die der „Rekonstruktion“ von Geschichte dienen. Andere wiederum sehen die Gedenkstätten als Lernorte, ausgestattet mit Bibliotheken und Archiven, Orte also, an denen man eine Forschungsarbeit oder ein Buch schreiben kann. Viele besuchen die Gedenkstätten aus einem Gefühl der Verpflichtung heraus, gegenüber der Geschichte und gegenüber den Überlebenden und vollziehen dort ein Ritual des Trauerns, der Anerkennung und des Verarbeitens der historischen Ereignisse.
BesucherInnen, die einen Bezug zu den Balkankriegen oder zu Ruanda herstellen, wollen nicht unbedingt die Erfahrungen der KZ-Überlebenden relativieren. Vielmehr versuchen sie, ein Ereignis oder eine Geschichte in einen Kontext zu setzen, um so die Bedeutung dessen, was sie gelernt haben, deutlich zu machen. Anders als die in den Gedenkstätten beschäftigten DirektorInnen, KuratorInnen und PädagogInnen haben die meisten BesucherInnen nicht unbedingt einen akademischen Hintergrund oder ein ausgeprägtes Vorwissen. BesucherInnen kommen im Rahmen von Klassenfahrten, Reisen oder sommerlichen Radtouren in die Gedenkstätten und ihre Motivationen sind sehr unterschiedlich. Eine Installation, die Individuen dabei hilft, Gemeinsames und Solidarität zu entdecken, die Grenzen zwischen Kulturen, Religionen und „Rassen“ überwindet, muss keine Ablenkung darstellen von den Leben derer, die an diesen Orten Gefangenschaft, Entrechtung und Erniedrigung erlitten haben.


Brauchen die BesucherInnen nicht zeitlichen und räumlichen Abstand um über die Erfahrung eines Gedenkstättenbesuchs richtig nachdenken zu können?
Manche ja, andere nicht. Die Projected Memory Audio-/Video-Kabine ist ein Angebot, dass die BesucherInnen freiwillig wahrnehmen können, sie stellt einen von mehreren Wegen dar, sich mit der Erfahrung eines Gedenkstättenbesuchs auseinanderzusetzen. Eine „Echtzeit“-Nachricht zu hinterlassen, hält niemanden davon ab, nachträglich einen Artikel über diese Erfahrung zu schreiben oder mit Angehörigen darüber zu sprechen. Ohne Projected Memory Audio-/Video-Kabine allerdings haben die BesucherInnen keine Möglichkeit, eine Nachricht in diesem spezifischen Kontext zu hinterlassen (interaktiv, Audio/Video, teilen mit anderen, Forschung).
Darüber hinaus möchten wir nicht bewerten, was ein „richtiges“ oder „grundlegendes“ Nachdenken über eine Erfahrung ausmacht. Wie bei jedem anderen Forschungsvorhaben müssen die Daten erst gesammelt und dann interpretiert werden. Was für eine Universitätsprofessorin eine unnötige Wiederholung schon bekannter Tatsachen sein mag, könnte für ihre jugendliche Tochter genau der emotionale Zugang sein, der sie zu einer weiteren Beschäftigung mit verschiedenen Aspekten der historischen Realität anregt.


Was soll oder kann das Museum mit den Nachrichten anfangen?
Manche Nachrichten können Informationen darüber enthalten, wo und wie die Verbindung zwischen dem Museum und den BesucherInnen auf emotionaler und intellektueller Ebene gelingt. Andere Nachrichten können darüber Aufschluss geben, welche Ausstellung oder welcher Teil des Geländes auf welche Altersgruppen besonders stark wirkt. (Das digitale Interface der Projected Memory-Installation kann auf bestimmte Ausstellungen oder Exponate zugeschnitten werden.) So erhält das Museum eine gegenwärtige Ausstellung, mit der die Öffentlichkeit – und insbesondere jüngere BesucherInnen – zu einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Museum selbst angeregt werden kann. Zudem können die in der Gedenkstätte aufgezeichneten Nachrichten, die dann auf den Internetseiten der Gedenkstätte und/oder von Projected Memory zu sehen sind, die öffentliche Wahrnehmung der Gedenkstätte steigern. Nicht zuletzt bietet die Projected Memory-Installation der Gedenkstätte ein wichtiges Werkzeug zur Einschätzung und Evaluierung der eigenen Arbeit. Die Nachrichten der BesucherInnen können in wichtige Entscheidungen einfließen, sei es bezüglich der Gestaltung des Außengeländes und neuer Ausstellungen, sei es in der pädagogischen Arbeit oder in der Forschung. Die grundlegende Pflege der Projected Memory-Installation verursacht wenig Aufwand, je mehr Arbeit die Gedenkstätte aber in die Beschäftigung mit dem Archiv investiert, umso nützlicher wird dieses für die Gedenkstätte letztlich sein.


Wo in der Gedenkstätte sollte die Kabine aufgestellt werden?
Die Kabine sollte sich an einer Stelle befinden, die sichtbar, zugänglich und einladend ist. Eventuell auftretende Hintergrundgeräusche sollten bedacht werden, können aber im Prinzip durch Schalldämmung minimiert werden. Unterschiedliche Gedenkstätten haben unterschiedliche Standpunkte dazu, wie stark die Kabine mit dem übrigen Geschehen auf dem Gelände und mit existierenden Gebäuden verbunden sein sollte. Unsere erste offizielle Installation befindet sich einer rekonstruierten Baracke in der Gedenkstätte Sachsenhausen. Diese Baracke wird von den BesucherInnen deutlich weniger wahrgenommen als die in unmittelbarer Nähe stehende „Baracke 38“, in der sich eine Ausstellung über die jüdischen Häftlinge des KZ Sachsenhausen befindet. Aus unserer Sicht erschien es allerdings interessant, Nachrichten von jenen BesucherInnen zu erhalten, die sich über den „Alltag der Häftlinge im KZ Sachsenhausen“ (so das Thema der Ausstellung in dem Gebäude, in dem sich die Installation befindet) informieren wollen, deren Interessen also offenbar darüber hinausgehen, eine Gaskammer oder ein Krematorium zu sehen (es handelt sich in diesem Fall eher um EinzelbesucherInnen als beispielsweise um Schulklassen).

Auch wenn wir anerkennen, dass das Aufstellen der Installation in einer Baracke im ehemaligen Häftlingslager von einigen als „zu nah an der Geschichte“ betrachtet wird, wollen wir die BesucherInnen auf diesem Weg dazu anregen, über die historische Vielschichtigkeit der Gebäude und des Geländes (Wald, Lager, Denkmäler, Gedenkstätte etc.) nachzudenken. Kann eine solche Kabine die „Authentizität“ und historische Genauigkeit des Gebäudes wirklich beeinträchtigen, während es nicht-originale Stühle, Schränke und Betten nicht tun? Viele BesucherInnen hinterlassen Nachrichten, in denen es um den „bedrückenden Original-Stacheldraht und die elektrisch geladenen Zäune“ geht. Was sagen uns solche Nachrichten über die Erwartungen der BesucherInnen und, vielleicht wichtiger, was sagen sie uns darüber, dass die Gedenkstätten häufig nicht kenntlich machen, bei welchen vermeintlichen Originalrelikten es sich um Reproduktionen oder Nachbauten handelt? Unsere Projected Memory-Installation, soll, unabhängig von ihrer genauen Lage, den BesucherInnen einen neuen Blickwinkel und damit einen anderen Zugang zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gedenkstätte eröffnen. Abschließend lässt sich sagen, dass eine gute Platzierung der Kabine, regelmäßige Pflege und eine generelle Wertschätzung durch das Museum es auch wahrscheinlicher machen, dass die BesucherInnen die Ernsthaftigkeit des Projekts erkennen und es entsprechend wahrnehmen. Bei einer verdreckten und vernachlässigten Kabine hingegen, die in einem abgelegenen Teil des Geländes steht, steigt auch die Gefahr von Vandalismus, wird doch den BesucherInnen das Gefühl vermittelt, dass ihre Eindrücke und Empfindungen, ebenso wie die Installation, die dazu aufgestellt wurde, dass sie sich äußern können, allenfalls von marginaler Bedeutung sind.


Wie erzeugt die Projected Memory-Installation einen „virtuellen Dialog“ zwischen den BesucherInnen, und welche Verantwortung trägt das Museum oder die Gedenkstätte für diesen Dialog?
In der ersten Phase fungiert die Projected Memory-Installation als eine Art „Ablage“, in der BesucherInnen Nachrichten hinterlassen und speichern können, entweder als öffentlich zugänglich oder nur für das Forschungsarchiv. In der zweiten Phase des Projekts – der eigentlichen Dialog-Phase – wird ein Teil der als öffentlich gespeicherten Nachrichten in der Kabine selbst (oder auf einem zweiten Monitor an einem anderen Ort auf dem Gelände) zugänglich gemacht, so dass die BesucherInnen die Nachrichten anhören bzw. anschauen können, die andere vor ihnen hinterlassen haben. Wenn sie wollen, können die BesucherInnen auf diese Nachrichten reagieren, indem sie selbst Kommentare oder Reaktionen aufzeichnen. Der zeitliche Abstand zwischen der ersten und der zweiten Phase des Projekts gibt Projected Memory und dem entsprechenden Museum genug Zeit, zu entscheiden, welche Nachrichten öffentlich zugänglich gemacht werden sollen. Wir sind sehr gespannt darauf zu sehen, wie dieser Austausch von Eindrücken künftige Aufzeichnungen beeinflussen wird, und welche Themen in diesem „virtuellen Dialog“ aufgegriffen werden.

Museen können heutzutage unterschiedliche Perspektiven darstellen und mehrere, teils gar widersprüchliche, Absichten verfolgen. In einem Bereich des Museums kann die Vermittlung von Fakten im Vordergrund stehen (Daten, Biografien, Zahlen, zeitliche Abläufe, Statistiken etc.), während in einem anderen Bereich die Meta-Geschichte des Ortes thematisiert wird (etwa die Entstehung der jeweiligen Gedenkstätte oder die Entwicklung der pädagogischen Arbeit vor Ort). In einem dritten Bereich kann das Museum ein Forum für den Austausch unter den BesucherInnen schaffen und dabei eine mehr oder weniger formende bzw. moderierende Rolle einnehmen. Für Projected Memory ist klar, dass die von den BesucherInnen in unseren Installationen hinterlassenen Botschaften nicht unbedingt den Standpunkt der Organisation oder des jeweiligen Museums widerspiegeln oder widerspiegeln müssen. Auf dieser Grundlage kann ein Museum einen öffentlichen Dialog ermöglichen, ohne sich dabei selbst größere philosophische, kuratorische oder politische Kompromisse aufzuerlegen. Mit diesem letzten Punkt geht die Anerkennung der Tatsache einher, dass zwar jedes Museum und jede Gedenkstätte eine spezifische Geschichte hat, dass sie aber alle auch Knotenpunkte im nationalen und internationalen Informationsfluss über bestimmte Ereignisse sind, und dass unsere Erfahrungen an diesen Orten, einzeln und in ihrer Gesamtheit, zur fortgesetzten Bedeutung dieser Orte beitragen.


Erwartungen der BesucherInnen, Veränderungen der Denkmuster
Normalerweise kommen BesucherInnen in die Gedenkstätte, sehen sich die ehemalige Gaskammer und das Krematorium an, machen Fotos und fahren wieder nach Hause. Wir wollen versuchen, diese Denk- und Handlungsmuster zu verändern. Die Installation unserer Feedback-Box in Sachsenhausen war in vielerlei Hinsicht ein Experiment. Würden BesucherInnen Videos aufnehmen? Würde jemand Nachrichten mit neonazistischem Inhalt hinterlassen? Ist die Technologie leicht verständlich? Das sind alles offene Fragen, die uns weiterhin beschäftigen, während wir versuchen, unsere Software zu verbessern.
Unser Ziel ist es, herauszufinden, inwieweit Leute bereit sind mit dem Museum zu interagieren. Bei dem standardmäßigen Besuch mit Führung werden BesucherInnen durch den physischen und den geschichtlichen „Raum“ des Ortes begleitet und mit einer Vielzahl von oft verstörenden Informationen konfrontiert. Viele Leute erwarten es auch, eine Gaskammer zu sehen und möglichst viele erschreckende Details zu erfahren. Eine große Zahl der BesucherInnen ehemaliger Konzentrationslager ist so sehr durch Massenmedien und Filme beeinflusst, dass sie versuchen, die Bilder, die sie bereits im Kopf haben (wie beispielsweise Schienen, ein Eingangstor oder Baracken) mit den „echten“ Äquivalenten vor Ort zu vergleichen. Nachdem sie ein Foto vom „echten“ Krematorium gemacht haben, fühlen sich BesucherInnen oft endgültig „befriedigt“. Warum ist das so? Eine mögliche Erklärung ist, dass BesucherInnen meinen, eine Sache wurde abgehakt, die Nachforschungen können hier enden, denn die Erwartungen wurden erfüllt.
Die meisten Führungen sind sehr gut, aber es kann schwierig sein während einer zweistündigen Tour einen eigenen Zugang zu der Geschichte zu finden. Auch ist es nicht einfach, in einer Gruppe über die eigenen Gedanken und Gefühle zu sprechen.
BesucherInnen erwarten nicht, dass es einen Raum für sie gibt, wo sie mit ihren Gedanken und Gefühlen alleine sein können, ohne der Meinung von LehrerInnen, Eltern, der Gesellschaft und den Medien ausgesetzt zu sein. Wir wollen Leute dazu anregen, selbst nachzudenken, eigene Überlegungen anzustellen, und das gerade an einem Ort zu tun an dem so viel Individualität zerstört wurde.


Funktioniert es?
Manche Leute haben uns gefragt, was wir uns von dem Projekt erwarten und ob es denn „funktioniere“.
Wir wollen die BesucherInnen einladen, über ihre Fragen und Emotionen nachzudenken, die sie unmittelbar vor Ort haben, während die Eindrücke noch frisch sind. Wir möchten, dass die Menschen sich aktiv in die Art und Weise einbringen, wie unsere Gesellschaft über Geschichte nachdenkt und diese benutzt. Wir möchten auch, dass BesucherInnen konstruktiv mit den Gedanken und Meinungen anderer interagieren – das ist natürlich vor allem bei einem Thema wie diesem eine große Herausforderung. Wir haben aber keine Meinungen im Bezug auf den Holocaust oder die NS-Zeit, die wir durch die Nachrichten der Besucherinnen widergespiegelt sehen wollen.
Denken wir genug nach? Funktionieren wir als Gesellschaft über die Phrase „Niemals vergessen“ hinaus?
Durch Besuche von Gedenkstätten, durch unsere Gedanken und Sprache, können wir eine andere Art von Denkmal setzen, für Menschenrechte, für Empathie, für aktive Mitmenschen. Wir hoffen, dass wir mit „Projected Memory“ BesucherInnen zum Nachdenken anregen.

Das Risiko hat sich gelohnt
Als Ort für die Testphase unseres Projekts ging Sachsenhausen ein großes Risiko ein. Teure Hardware, die von vielen Leuten genützt werden sollte, das Angebot eines offenen, unmoderierten Forums. Es gab Vorbehalte und Bedenken, Angst vor Nachrichten mit neonazistischem Inhalt.
Die Herausforderung, als wahrscheinliche erste Gedenkstätte Europas ein Projekt dieser Art durchzuführen. Projected Memory hat bisher gute Rückmeldung in diversen Medien erhalten. Sachsenhausen, und somit zu einem gewissen Maß auch Deutschland, war bereit, sich auf neue, innovative Art und Weise mit der Vergangenheit zu beschäftigen und diese große Risikobereitschaft hat sich gelohnt.

Weitere Themen


Sprache/Linguistik/Narrativ
Es gibt historische Ereignisse und es gibt es deren Interpretation. Wie unterscheiden sich die verschiedenen Narrative, Interpretationen, Geschichtsschreibungen? Wie unterschiedlich drücken wir uns aus, um unser Verhältnis zu einem bestimmten Ereignis zu beschreiben? Welche Anforderungen hat ein Ereignis wie der Holocaust an unsere Sprache gestellt? Welche Worte gibt es dafür? Und was bedeutet diese allgegenwärtige Phrase „Niemals vergessen“ wirklich?
Als Projected Memory sind wir an diesen Fragen interessiert. Mit „Feedback-Boxen” in verschiedenen Museen und Gedenkstätten auf der ganzen Welt, versuchen wir nicht nur Geschichte interaktiver für die Öffentlichkeit zu gestalten, sondern auch Leute dazu zu ermutigen, sich aktiv an der Herstellung von Geschichte zu beteiligen, indem sie ihre eigenen Gedanken und Gefühle hinterlassen, während sie sich nicht nur darauf beschränken, was hier passiert ist, sondern auch was mit mir passiert, während ich hier bin.
Unser Projekt soll eine Plattform für ForscherInnen sein, die unsere Ergebnisse in ihre Arbeit einbauen wollen. Sie können besipielsweise Zugang zu unserem Audio- und Videoarchiv bekommen und ein Projected Memory Event auf ihrem Campus veranstalten. Kollaborationen könnten auch darin bestehen, dass Vorträge oder Konferenzen veranstaltet werden um Forschungen, Papers und innovative Projekte zu diskutieren. Es wäre zum Beispiel interessant, Eindrücke von BesucherInnen der Gedenkstätte Sachsenhausen mit Eindrücken von BesucherInnen der Gedenkstätte Ravensbrück zu vergleichen. Ravensbrück war ein Konzentrationslager in der NS Zeit, das fast ausschließlich auf weibliche Häftlinge beschränkt war. Es ist ca. 2,5 Stunden von Berlin entfernt und verzeichnet deutlich weniger BesucherInnen als Sachsenhausen.

Theorie und Historiografie
Wo liegt die Grenze zwischen Geschichte und Meta-Geschichte? Macht es überhaupt Sinn, zwischen diesen beiden zu unterscheiden? Inwiefern beeinflussen unsere Auffassungen von „Wahrheit“, „Trauma“ und „Authentizität“ unser Verständnis von „Erinnerung“?
Kann eine Studie über Feedback von BesucherInnen förderlich für interdisziplinäre Forschung sein?

Wo gibt es bei relativ neuen Studiengängen wie „Memory Studies“ und „Genocide Studies“ Überschneidungen zwischen Geschichte, Soziologie, Psychologie, Verhaltenswissenschaften, Curatorial Studies, Sprachwissenschaften, Kulturwissenschaften und Medienwissenschaften?

Was wirkt stärker: Zahlen oder persönliche Erfahrungen? Was ist, wenn die Zahlen fluktuieren, abhängig von dem Forschungsstand oder dem Wissenschaftler? Was ist mit den Gefühlen, die Menschen haben können, die durch den Eingang eines ehemaligen NS-Konzentrationslagers gehen? Und was, wenn diese bedrohlichen Eingangstore mit den berühmtem Worten „Arbeit macht frei“, Repliken sind, angefertigt vor nicht allzu langer Zeit von einem Schmied aus der Gegend?


Architektur der Gedenkstätten
Was macht einen Ort des Gedenkens, der Erinnerung aus? Was kann so ein Ort bewirken? Wie und mit welchen Auswirkungen wurde der Ort verändert oder manipuliert?
Inwiefern beeinflussen Schilder, Informationstafeln und andere räumliche Eingriffe in einem Museum oder einer Gedenkstätte unsere Wahrnehmung des Ortes und der Geschichte? Woraus bestehen die historischen Schichten eines Orts, sind sie sichtbar oder unsichtbar für BesucherInnen?Welche Narrative werden räumlich bevorzugt und welche benachteiligt? Inwieweit ist sich der/die BesucherIn der fortwährenden Geschichte des physischen Ortes bewusst? Würde ein/e BesucherIn immer noch kommentieren, dass ihn der Stacheldraht beeindruckt und überwältigt, wenn er wüsste das dieser nicht aus der NS-Zeit stammt? Bedeutet das, der Stacheldraht ist nicht „original“?

Religiöse Verknüpfungen und Interkultureller Austausch
Als Gideon Unkeless in der Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin arbeitete, kam es oft vor, dass BesucherInnen davon ausgingen, Juden und Jüdinnen wären die größte Gruppe der Inhaftierten in Sachsenhausen gewesen. In Sachsenhausen war dies nicht der Fall gewesen, aber es erinnerte ihn daran, dass die Nazis es geschafft hatten, das Menschen auf der ganzen Welt die Worte „Jude“ und „Lager“ automatisch im Kopf verbinden.
Ein großer Teil der jährlichen Besuchenden besteht aus deutschen Schulklassen. Gideon war fasziniert von Diskussionen über die Verfolgung von Juden, die zwischen Guides der Gedenkstätte und deutschen SchülerInnen geführt wurden, meistens waren beide Seiten nichtjüdisch. Es schien so, als ob viele deutsche SchülerInnen beinahe ausschließlich im Kontext des Holocausts etwas über Juden gelernt hatten. Hier spiegelte sich für Gideon ein trans-generationelles Trauma vieler amerikanischer Juden wider, das ihnen in jungen Jahren weitervererbt wird, wenn ihnen Fotos von abgemagerten Körpern auf Schubkarren gezeigt werden, mit der Erklärung dass diese leblosen Berge eigentlich Verwandte sind.
Für die Schulkinder kann das Ergebnis ein unverdientes Schuldgefühl sein, Verlegenheit, und vielleicht in manchen Fällen, ein leises Aufkommen von Abneigung.
Auf beiden Seiten liegt das nicht nur an Holocaust Education oder Menschenrechtsbildung, sondern ist auch eine Weitergabe von Neurosen an nachkommende Generationen.
Haben amerikanisch-jüdische BesucherInnen Erwartungen und Erfahrungen an Gedenkstätten, die sich grundlegend unterscheiden von denen anderer Gruppen? Fühlen sie sich wegen ihrer religiösen Erziehung der Geschichte verbunden? Was für Bilder haben junge EuropäerInnen im Kopf, wenn sie an „Juden“ denken, besonders im Kontext des Zweiten Weltkriegs, und inwiefern werden diese Bilder durch den Besuch eines ehemaligen Konzentrationslagers komplexer gemacht?
Was könnte dabei herauskommen, wenn wir Videos von amerikanisch-jüdischen BesucherInnen Sachsenhausens Videos europäischer BesucherInnen gegenüberstellen und sie dadurch in eine Art Konversation bringen?

Museumspädagogik
Viele BesucherInnen von Gedenkstätten und Museen in Europa und den USA sind SchülerInnen. Wie wurden sie auf ihren Besuch vorbereitet? Wie verbringen sie ihre Zeit vor Ort? Was sagen sie selbst dazu?
Während Gideons Zeit als Tourguide war die erste Frage von SchülerInnen oft: „Wo ist die Gaskammer?“ Dass die Gaskammer auf Grund einer Explosion und mangelnder Instandhaltung nur noch eine Ruine war, löste oft große Enttäuschung aus. Aber warum hatten sich die SchülerInnen überhaupt so darauf gefreut?
Ein Besucher oder eine Besucherin ritzte ein Hakenkreuz in einen Tisch der ehemaligen „Jüdischen Baracke“ in Sachsenhausen. Ein Versuch von Rebellion, inzwischen abgekoppelt von der ehemaligen Bedeutung des Symbols? Oder eine Warnung, ein Zeichen dafür, dass zwischen den Absichten und den tatsächlichen Ergebnissen der Holocaust-Education eine große Lücke klafft?

Tourismus und Holocaust
Wenn man von Schulgruppen absieht fällt der Großteil der BesucherInnen von Gedenkstätten und Museen unter die weit gefasste Kategorie „Touristen/Touristinnen“. 400.000 BesucherInnen kommen jedes Jahr nach Sachsenhausen, viele von ihnen sind TouristInnen aus anderen Ländern. Warum haben sie Sachsenhausen in ihren Besuch nach Berlin eingeplant? Was erwarten sie, was wollen sie wissen, was nehmen sie von ihrem Besuch mit?
Tourismus rund um den Holocaust ist ein großes Geschäft, und Projected Memory ermöglicht es, einen näheren Blick auf dieses Spannungsfeld und seine möglichen Auswirkungen zu werfen.